Samstag, 11. Januar 2025

Wie steht die Kirche zur Epoche der Aufklärung?

Der Cathwalk hat sich schon mehrfach kritisch und polemisch mit der Epoche der Aufklärung auseinandergesetzt (Die Aufklärung führt zu Gewalt, der katholische Glaube in den Himmel; Aufklärung und Atheismus: Wie unsere Gegenwart im 18. Jahrhundert entstand; Joseph de Maistre: Vordenker des Traditionalismus; Massenmord und Menschenrechte: Die Französische Revolution; Die Ampel-Koalition und die Zerstörung der Familie).

Warum diese exzessive Beschäftigung mit der Aufklärung? Weil sie die zentrale Epoche für die Ideologien unserer Zeit ist, vor allem für den Liberalismus und den Sozialismus. Im Grunde gehen alle Bewegungen unserer Zeit, die nicht an die Tradition anknüpfen auf die Aufklärung zurück. Wie steht die katholische Kirche zur Aufklärung? Diese Frage beantwortet für uns Ludwig Baur (1871-1943) mit seinem Artikel „Aufklärung“ im Lexikon für Theologie und Kirche (1930).

Baur gibt folgende Definition: „Aufklärung als geschichtliche Erscheinung ist die theoretische und praktische Tendenz, von der christlichen Offenbarung und Kirche und allem, was mit ihr zusammen hängt, als einer ‚Verfinsterung des Geistes’ sich frei zu machen und nur einen Glauben, den an die sola ratio, anzuerkennen.“ Damit wird die Aufklärung als kirchenfeindlich und antichristlich definiert.

Dann unterteilt Baur die Aufklärung in einen theoretischen und praktischen Teil. Die theoretische Aufklärung beruht auf dem Grundsatz der „Autonomie der Vernunft“, die sich „in ihrer schrankenlosen Herrschaft“ auch auf das „Gebiet der Offenbarung (Rationalismus)“ ausdehnt. Die Voraussetzungen dafür liegen in einem Traditionsbruch, der die aristotelische Philosophie durch neue Ansätze ersetzte, unter dem Einfluss von Descartes, Baco, Kant u.a..

Die Aufklärung änderte die Ethik (u.a. inspiriert durch Baco, Spinoza und Kant) und suchte eine „rein natürliche Begründung“ zu finden, es entwickelte sich das Ideal der Humanität, das Sittliche sollte sich aus „den Bedürfnissen des Menschen“ ableiten, demgegenüber stand eine „theologische Moral“. In der Rechtsphilosophie (u.a. durch Machiavelli, Hobbes, Locke, Rousseau) änderte sich die mittelalterliche theologische Auffassung vom Ursprung und Zweck des Staates und seinem Verhältnis zur Kirche vollständig.

In Deutschland und England gibt es eine andere Aufklärungstradition als in Frankreich. Hier herrschen Versuche einer Verbindung von Aufklärung und Christentum vor, die u.a. von Locke, Leibniz und Kant geprägt sind, während die klassischen Aufklärer in Frankreich jede positive Religion ablehnen. Diese Versuche einer Synthese müssen allerdings sehr kritisch gesehen werden, weil mit der natürlichen Religion der Aufklärung eine „Erschütterung des Glaubens“ verbunden ist. So konstatiert Baur: „Die Aufklärungskritik wandte sich gegen die Lehre von der Inspiration der Bibel, gegen die Lehre von der metaphysischen Gottessohnschaft Jesu, gegen den Erlösungs- und Auferstehungsglauben.“ Stattdessen gibt es eine „moralisierende Grundtendenz“.

Viele katholische Fakultäten standen im 18. Jahrhundert unter dem Einfluss der Aufklärung. So waren die rheinischen Kurstaaten „völlig aufklärerisch“. Viele theologische Fachblätter verbreiteten aufklärerische Thesen. Der aufklärerische Geist propagierte eine Feindschaft gegen die Orden, besonders gegen die Jesuiten, auch gegen den Zölibat, die lateinische Kultsprache, die Liturgie, die Heiligen- und Reliquienverehrung, Wallfahrten und religiöse Bräuche aller Art.

Die praktische Aufklärung wollte die politische Macht der Kirche brechen. Der Staat sollte „absolute Superiorität“ über die Kirche haben, Nationalstaaten an die Stelle des Reichsgedanken treten. Prägende historische Entwicklungen sind hier die Französische Revolution, die Säkularisation und die Ablösung des kirchlichen Erziehungswesens durch den Staat.

Das Gegenmodell zur Aufklärung im katholischen Sinne ist der scholastische Einheitsordo von Staat und Kirche. Seine philosophisch-theologischen Grundlagen werden von Aristoteles, Augustinus und Thomas von Aquin bestimmt.

Quelle: Baur, Ludwig, Aufklärung, in: Lexikon für Theologie und Kirche 1 (1930). Sp. 794-797.

2 Kommentare

  1. Es gibt keinen scholastischen Einheitsordo von Staat und Kirche, das ist eher protestantisch oder anglikanisch. Wäre mir seit meiner ersten Philosophiestunde beim damals führenden scholastischen Lehrbuchverfasser in der Schweiz nie aufgefallen. Überdies ist das Staatsverständnis von Voltaire u. Rousseau krass gegensätzlich. Der letztere gehörte übrigens im Gegensatz zum ersteren zu den Warnern vor dem Islam. Das Abendland unterscheidet sich dadurch vom Islam und von Calvins Genf, dass es durchaus nicht theokratisch konstituiert ist.

    • Der Bezug auf Theokratie ist Unsinn. Natürlich gibt es diesen Ordo. Es geht darum, dass Staat und Kirche beide perfekte Gesellschaften sind, die Gott als Urheber haben. Und was mit Einheitsordo gemeint ist, ist, dass es im Optimum keinen Widerspruch zwischen staatlichen Gesetzen und der Religion gibt. Sie haben allerdings unterschiedliche Aufgaben, der Staat das Gemeinwohl und zeitliche Wohl, die Religion das Seelenheil. In einem Staat, der die wahre Religion, die katholische, anerkennt, hat z.B. nur diese Rechte, alle anderen werden geduldet, je nachdem wie es dem Gemeinwohl entspricht oder andere notwendige Rücksichtnahmen.

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein

Hat Ihnen der Artikel gefallen?

Mit Ihrer Spende können Sie dafür sorgen, dass es noch mehr davon gibt:

Neueste Artikel

Meistgelesen