Freitag, 10. Januar 2025

Johannes Paul II. und Marcel Lefebvre

Sie sind Superstars in ihren eigenen Reihen: Marcel Lefebvre und Johannes Paul II. Lefebvre wird vor allem von den Anhängern der Piusbruderschaft als heiligmäßiger Erzbischof gesehen. Johannes Paul II. wurde direkt nach seinem Tod von seinen Fans mit Santo subito-Rufen gleichsam heiliggesprochen. Die nachkonziliare Krise um Alte Messe und Tradition hat unter dem „Jahrhundertpapst“ (J. Roß) einen neuen Höhepunkt erreicht. 1986 fand das Assisi-Treffen statt und Lefebvre wurde 1988 wegen unerlaubter Bischofsweihen exkommuniziert. Einige Kommentatoren schreiben „exkommuniziert“ oder sprechen von der „so genannten Exkommunikation“. eine Auffassung, die sich auf die Natur des neuen Kirchenrechts stützt.

Im selben Jahr entstand die Petrusbruderschaft aus ehemaligen Patres und Seminaristen der Piusbruderschaft. 1990 folgte das Institut Christus König und Hoherpriester. Diese Gründungen zeigen, dass die Auseinandersetzungen um Tradition und Moderne die Kirche tief geprägt haben. Die entscheidenden Fragen lauten: Ist die Neue Messe von 1970 legitim? Ist sie eine gute Sache? Ist liberale Religionsfreiheit ein katholisch anerkanntes Menschenrecht? Sollten ökumenische und interreligiöse Treffen begrüßt werden? Lefebvre verneinte all diese Fragen, Johannes Paul II. hingegen bejahte sie.

Diese gegensätzlichen Positionen beruhen auf unterschiedlichen Welt- und Menschenbildern. Lefebvre vertrat ein pessimistisches Bild vom Menschen, geprägt von der Sorge vor Gefahren und Irrtümern. Damit stand er in der Tradition früherer Päpste wie Gregor XVI., der in den Menschenrechten den „Höllenpfuhl offen“ und „Rauch aufsteigen“ sah. Johannes Paul II. hingegen, geprägt durch seine Erfahrungen mit den totalitären Regimen des Nationalsozialismus und Kommunismus, sah in den Menschenrechten eine Chance. Gerade in Polen boten sie eine Grundlage, um die Ausübung des katholischen Glaubens zu verteidigen, da sich die Sowjetunion offiziell zu diesen Rechten bekannte. Er betrachtete die Menschenrechte als das einzig universell akzeptierte „moderne Naturrecht“.

Lefebvre sah in den Menschenrechten, besonders in der Religionsfreiheit, einen Widerspruch zur Wahrheit der katholischen Religion. Lefebvres Denken war zuerst von Ideen, weniger vom „praktischen Nutzen“ bestimmt. Aus falschen Ideen würde eine falsche Praxis folgen – wenn auch mit zeitlicher Verzögerung. Nach seinem ersten Treffen beschrieb Lefebvre Johannes Paul II. als „sehr liberal“. Was heißt das? Als Johannes Paul II. 1978 Papst wurde, dachte Lefebvre zunächst, der „Bote eines kämpferischen Katholizismus“ hätte den Stuhl Petri bestiegen. „Hören Sie auf“, forderte Johannes Paul II. hingegen von Lefebvre. Der Papst wollte, dass Lefebvre seine Opposition gegen die Entwicklungen in der Kirche seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil beendet.

Karol Wojtyła hatte schon als junger Mensch die totalitären Regime des Nationalsozialismus und Kommunismus erlebt – vor allem auch ihre Verbrechen und Geringschätzung des Lebens. Vielleicht war genau das der Grund, warum er als Papst immer wieder auf die Würde des Menschen zu sprechen kam und Fragen der Moral zum Kern seines Pontifikats wurden. Als „konservativ“ bleibt er in Erinnerung, weil er gegen Ehescheidung, Pille, Kondom und Abtreibung war. Dennoch blieb auch die Morallehre nicht identisch, weil das Naturrecht durch den Personalismus aufgeweicht wurde. Lefebvre ging es aber zuerst um den Glauben und er fand, dass der Papst auf diesem Gebiet liberal agierte. Und es ist bis heute ein Grundsatz der Tradition, dass beides zusammengehört: Glaube und Moral. Wenn man eines ändert, wenn auch nur in der Praxis, fällt auch das andere.

Die Antritts-Enzyklika Redemptor hominis von Johannes Paul II. zeichnet sich durch einen optimistischen Humanismus aus, der an das Konzils-Dokument Gaudium et Spes erinnert. Eine ihrer zentralen Aussagen ist, dass „der Mensch der Weg der Kirche ist“. Bemerkenswert ist, dass das Wort „katholisch“ in der Enzyklika fehlt. Die Grundstimmung des Dokuments weist stark in Richtung eines Erlösungsoptimismus, der von einigen Interpreten als eine Annäherung an die Allerlösungslehre angesehen wird.

Im Text der Enzyklika heißt es:

„Dieses tiefe Staunen über den Wert und die Würde des Menschen nennt sich Evangelium, Frohe Botschaft. Dieses Staunen rechtfertigt die Sendung der Kirche in der Welt, auch und vielleicht vor allem »in der Welt von heute«. Dieses Staunen und zugleich die Überzeugung und Gewißheit, die in ihrer tiefsten Wurzel Glaubensgewißheit ist, die aber auf verborgene und geheimnisvolle Weise auch jeden Aspekt des wahren Humanismus beseelt, ist eng mit Christus verbunden … Dieser Mensch ist der Weg der Kirche, der in gewisser Weise an der Basis all jener Wege verläuft, auf denen die Kirche wandert; denn der Mensch – und zwar jeder Mensch ohne jede Ausnahme – ist von Christus erlöst worden. Christus ist mit jedem Menschen, ohne Ausnahme, in irgendeiner Weise verbunden, auch wenn sich der Mensch dessen nicht bewußt ist: »Christus, der für alle gestorben und auferstanden ist, schenkt dem Menschen« – jedem einzelnen und allen zusammen – »fortwährend Licht und Kraft durch seinen Geist, damit er seiner höchsten Berufung entsprechen kann«.“

Wie soll man das verstehen? Ohne Taufe steht der Mensch unter der Herrschaft der Erbsünde und ist kein Kind Gottes. Im Evangelium wird es klar ausgedrückt: „Geht hinaus in die ganze Welt, und verkündet das Evangelium allen Geschöpfen! Wer glaubt und sich taufen lässt, wird gerettet; wer aber nicht glaubt, wird verdammt werden“ (Mt. 16, 15 f.). Auch im Kirchenrecht (CIC 1983, can 849) steht über die Taufe: „Ihr tatsächlicher Empfang oder wenigstens das Verlangen danach ist zum Heil notwendig; durch sie werden die Menschen von den Sünden befreit, zu Kindern Gottes neu geschaffen …“

Lefebvre stand dem Optimismus Johannes Pauls II. skeptisch gegenüber. Das wird nicht nur an seinen unzähligen Höllen-Polemiken deutlich, sondern auch an seinem klaren „Nein“ zu den Lockerungen der Nachkonzils-Zeit. Wenn wir nicht an der Tradition festhalten, so Lefebvre, dann hat die Kirche keine Zukunft. Deshalb lehnte Lefebvre nicht nur die ökumenischen und interreligiösen Bemühungen des Papstes ab, sondern auch dessen Bekenntnisse zu den liberalen Menschenrechten, allen voran das zur liberalen Religionsfreiheit, wodurch die Herrschaft Christi in Staat und Gesellschaft unmöglich wurde. In Lateinamerika wurden deshalb nach dem Konzil die letzten katholischen Staaten vom Vatikan selbst bekämpft.

Ein Riesenskandal in der katholischen Tradition lösten die Assisi-Treffen ab 1986 aus. Johannes Paul II. konnte sicher sein, dass er mit diesen interreligiösen Treffen ganz dem Trend der Zeit folgte. So lösten sie abseits der Tradition kaum Empörung aus, weil man die angebliche „humanistische Einheit“ der Religionen begrüßte – das sei ja besser, als sich „die Köpfe einzuschlagen“. Lefebvre war entsetzt, sah das Erste Gebot angegriffen, Gott selbst beleidigt, während die Medien nur einen netten Austausch sahen. Es war aber mehr als ein „netter Austausch“. Eine Buddha-Statue wurde auf einen Tabernakel gestellt. Wenige Jahre später stürze die Kirche ein.

Die zentrale Frage zwischen Johannes Paul II. und Lefebvre ist: Kann man mit einem moralischen Anspruch die Welt retten oder braucht es nicht auch Alte Messe und Tradition? Der Zeit-Journalist Jan Roß beantwortet diese Frage mit der Polenreise Johannes Pauls II. 1991 auf seine Weise. Damals herrschte kein „Grundton der Ermutigung und des Vertrauens, sondern lauter … bittere oder verzweifelte Warnungen vor einer libertinen Wegwerfgesellschaft, vor Pille, Prostitution, Pornographie und … Abtreibung. Das Bild von Johannes Paul II. als lebensfremdem Doktrinär und Mann von gestern setzte sich fest, selbst bei alten Weggefährten und Bewunderern.“ Johannes Paul II. hat viel getan und erreicht im Kampf gegen den politischen Kommunismus und gegen Abtreibung. Es gibt keinen größeren „Pro-Life-Papst.“ Aber die Fragen nach der Kirche selbst, nach der Liturgie, der Theologie und der Tradition sind entscheidend für die Kirche, das Leben der Katholiken und die Mission.

Moralische Ansprüche, Optimismus und liberale Zugeständnisse bekehren nicht die Welt. Das hat Lefebvre mit prophetischem Scharfsinn erkannt. Wir brauchen die Alte Messe und die Tradition, um im Te Deum die Welt zu bekehren. Die liberalen Neuerungen haben uns geschwächt. Sie haben dazu geführt, dass es überall Verwirrungen gibt und der Glaube lächerlich gemacht wird. Sie haben unsere Widerstandsfähigkeit gegen Versuchungen gesenkt und uns der Welt ausgeliefert.

Die Tragik der Moderne

Das Problem der Menschenrechte besteht darin, dass sie im Kern keine Forderungen des Christentums und der Kirche sind, sondern der Welt. Die gefallene Welt meint mit Menschenrechten eine Freiheit zur Sünde und zum Irrtum. Aus einem säkularen Blickwinkel, der die Sünde leugnet oder ihre tödliche Konsequenz nicht sieht, werden aus Menschenrechten Rechte zur Sünde, weil aus Sünden Bedürfnisse werden und damit Menschenrechte. Das ist die ganze Tragik der Moderne. Der Mensch wird nicht durch Menschenrechte gerettet, sondern durch die Gnade Christi.

Die Alte Messe und die Tradition sind keine Hobbys von Traditionalisten, die es eben nett finden, „auf alt“ zu machen. Sie sind Heilmittel in einer gefallenen Welt, um in den Himmel zu kommen.

Siehe auch:

2 Kommentare

  1. Man sollte die guten Werke nicht gegen die Taufgnade ausspielen. Das Thema wurde zur Reformationszeit bis zum Gehtnichtmehr debattiert.

  2. Es heisst aber:
    Wer glaubt und getauft ist, ist gerettet, wer aber nicht glaubt, wird verdammt werden .. Markus 6,16 .. nicht ganz korrekt wiedergegeben, ich weiss.

    Taufscheinchristentum rettet nicht.
    Gute Werke kommen aus dem rechten Glauben und nicht weil man getauft ist.

    Der Glaube ist es, der rettet … denn auch Jesus sagt zu den Frauen, DEIN Glaube hat dich gerettet .. nämlich der Glaube an IHN.

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